„Fällt im September der erste Schnee, so tut der Aufstieg zum Col des Becs doppelt weh!“
Aber der Schnee meinte es gut mit uns. Die Schicht von Anfang Woche war nach ein paar sonnigen Tagen soweit abgeschmolzen, dass durchwegs eine wenigstens schmale Spur aperen Grunds hervorlugte, was das Aufwärtsfahren wesentlich erleichterte. Und die neue Lage, die in der Nacht auf Sonntag während unserem Aufenthalt in der Hütte fiel, war gerade richtig bemessen, damit sie zum Biken kein Hindernis darstellte, und trotzdem die Umgebung in ein weisses Gewand hüllte. Das war zauberhaft!
Aber von Anfang an. Zusammen mit Dominique Holzwarth, Damian Kummer, Büme Zbinden und Beat von Gunten fuhr ich am Samstagvormittag mit Zug und Bus nach Grimentz im Val d’Anniviers. Einer schmalen Alpstrasse folgend, gelangten wir in das Alp- und Skigebiet Marais oberhalb der Bergstation der Bendollabahn. In einer grossen Alphütte, wo wir etwas trinken wollten, fand gerade ein grosses Fest der Alpgenossenschaft statt, mit Musik und festlichen Reden zum Alpabzug.
Etwas weiter oben wurde die Landschaft dann offener und interessanter. Die Herbstfarben hatten Einzug gehalten und erste Schneereste lagen am Rand der weiterhin gut befahrbaren Strasse, welche die verschiedenen Lifte miteinander verbindet. Die Höhenmeter waren ziemlich ungleich verteilt, immer wieder bäumten sich steile Rampen vor uns auf, die gnädigerweise von flacheren Abschnitten zum Verschnaufen unterbrochen wurden. Die Schneedecke schloss sich an schattigen Stellen immer mehr, was uns etwas ins Zweifeln brachte, da der nasse Schnee kaum befahrbar war. Glücklicherweise war der Schmelzvorgang gerade so weit fortgeschritten, dass meist eine schmale „Fahrrinne“ ausgeapert war. Etwa hundert Höhenmeter unterhalb des Passes war dann endgültig Schieben angesagt, der Weg führte stotzig ein Geröllfeld hinauf. Dann hatten wir den Col des Becs de Bosson geschafft. Wir standen auf 2962 Metern und hatten eine tolle Aussicht auf die umliegenden Berge und ein Schlachtfeld aus früheren Leidensfahrten: Es heisst Pas de Lona und ist das pièce de résistance des Bikemarathons Grand Raid, der von Verbier nach Grimentz führt. Manche von uns hatten dieses Rennen schon bestritten und schwelgten nun in Erinnerungen. Kurze Zeit später erreichten wir die Cabane des Becs de Bosson, wo wir zu Abend assen und uns zur Ruhe legten.
Am nächsten Morgen lag die Hütte in dichtem Nebel und es hatte frisch geschneit! Auf diesen Schock achen mussten wir uns erst einmal hinsetzen und herzhaft am Zmorgebuffet verpflegen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis am konturlosen Himmel die ersten helleren Lücken auftauchten, und kurze Zeit später war der Spuk vorbei und die Sonne kam zum Vorschein. Die frisch gepuderte Landschaft sah wunderschön aus! Beschwingt begaben wir uns auf den Argentiniertrail und fuhren talwärts. Der Schnee behinderte unsere Fahrt kaum und so konnten wir uns voll und ganz den anderen Herausforderungen widmen. Das schmale, gewundene Weglein forderte volle Konzentration und ein geschicktes Manövrieren. Erstaunlicherweise war der Pfad trotz der enormen Höhe überhaupt nicht ruppig, so dass er auch mit weniger Federweg grossen Spass machte. Uns wurde warm ums Herz. Bald schon erreichten wir die Alp Lovégno, wo wir die warmen Kleider ausziehen konnten. Nun wurde es staubig. Der Trail wurde schneller, ausgefahrener und erinnerte an den „Brasilianer“ der ganz in der Nähe zu Tal führt. Unterhalb von Suen wurde der Boden seltsam mehlig und staubtrocken, die Reifen fanden darauf kaum Halt. Dann war der Talboden erreicht, wir überquerten den Fluss Borgne und fuhren auf der anderen Seite aufwärts. Dabei kamen wir in die Nähe eines der bekanntesten Naturdenkmäler des Wallis und des gesamten Alpenraums: Den Erdpyramiden von Euseigne. Lehm, Sand und Schutt wurden vor Zehntausenden von Jahren von den Gletschern zu einem betonartigen Gemisch verkittet und nach deren Rückzug langsam wieder von der Erosion abgetragen. An einigen Stellen schützten jedoch harte Felsen das darunterliegende weichere Gestein vor Wind und Wetter, während alles darum herum verschwand. So stehen dort heute 10 bis 15 Meter hohe Pyramiden mit bis zu 20 Tonnen schweren Felsbrocken auf ihrer Spitze, die den darunterliegenden Turm weiterhin vor der Erosion schützen.
Wir erreichten schliesslich die stillgelegte Ancien Bisse de Fan, der entlang wir lustig nach Vex fuhren. Der Höhepunkt der folgenden Abfahrt ins Rhonetal war dann unbestritten das Restaurant, in dem wir uns feinen Walliser Tellern hingaben. In Sion war es fast sommerlich warm! Mit Zug, Bus und Bergbahn fuhren wir auf den Gemmipass oberhalb von Leukerbad. Vorbei am fast ausgetrockneten Daubensee und der Schwarenbachhütte mit dem frisch verschneiten majestätischen Altels, gelangten wir zum Sunnbüel Freeride Trail. Damian bemühte sich wie schon auf der Gurnigeltour, dass wir nicht ganz ohne technische Pannen durchkamen. Die Freeridestrecke war ein würdiger Abschluss dieser gelungenen Tour, auch wenn es noch bis Frutigen hinunter dauerte, bis wir die Bikes zum Stehen brachten… Es hat mir sehr gefallen, wir waren eine gut harmonierende und lustige Gruppe. Muchas gracias por todo, Jungs!
Christoph Haussener